Arthur Brühlmeier

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Kaspar Brühlmeier-Steimer der Gemeindeammann mit dem schlechten Ruf (StB 53)

Auf S. 290 ff. der „Geschichte von Wettingen“ ist zu vernehmen, dass es um die Gemeindeverwaltung von Wettingen nicht zum besten bestellt war. Besonders schlecht weg kommt der Gemeindeammann Kaspar Brühlmeier-Steimer. Über ihn ist zu lesen: „Am 24. Juni l844 klagte das Badener Bezirksamt beim dortigen Bezirksgericht gegen den Wettinger Ammann Kaspar Brühlmeier wegen Fahrlässigkeit im Betreibungswesen: Brühlmeier hatte Gelder der Gemeinde verschleudert, Betreibungen fehler- und mangelhaft durchgeführt und mit Betreibungsgeldern nachlässig und zum Schaden für die Bürger und die Gemeinde gehaushaltet. Brühlmeier demissionierte, zahlte das veruntreute Geld zurück und zog mit seiner Familie nach Freiburg/Schweiz. Nach der Gerichtsverhandlung erlaubte sich Gerichtsschreiber A. Dorer dem Bezirksamt zu schreiben, hoffentlich wisse man auf dem Bezirksamt, dass die vom Bezirksgericht gegen Wettinger Behördemitglieder ausgesprochenen Strafen nichts oder wenig nützen. ‚Wird der Eine abgesetzt, so kommt ein anderer, an dem sich das Sprichwort erwahrt: es kommt nichts besseres nach. Der abgetretene Gemeindeammann Brühlmeier ist nun der Dritte, welcher für verschiedene angeführte Posten als Schuldner erklärt wurde. Auf diesem Wege ist es ja möglich, dass ein Gläubiger tausend und mehr Jahre hingehalten werden kann. Nichts könnte daher nach des Unterzeichneten unmassgeblicher Ansicht wünschenswerter sein, als wenn der Gemeinde Wettingen ein Vormund gegeben würde.‘ So weit kam es jedoch nicht, obwohl der neue Ammann, Leonz Brühlmeier, der zuverlässig zu arbeiten suchte, schon nach einem halben Jahr sein Amt zur Verfügung stellte. Ein Grund dazu war wohl die im Herbst 1844 notwendig gewordene Strafverfolgung des Gemeindeweibels“.

Mich interessierte natürlich das weitere Schicksal des angeblich nach Freiburg Ausgewanderten, aber sehr bald stellten sich mir auch Fragen über Fragen: Wie sollte ein angesehener Bauer – er war immerhin des Sohn des geachteten Mathe Leonz Brühlmeier – auf den Gedanken kommen, mit 3 Kindern seinen Hof zu verlassen und in eine Stadt zu ziehen, in der zu einem guten Teil französisch gesprochen wird? Wie sollte er dort sein Brot verdienen? Und zwischen 1857 und 1860 ist ja in der Liste der Gemeindeammänner wiederum ein Kaspar Brühlmeier ausgewiesen. Sollte es derselbe sein, wäre er folglich wieder zurückgekehrt, vermutlich total abgebrannt, denn er hätte in der fernen Stadt seine Familie kaum durchgebracht. Wäre er da gleich wieder zum höchsten Wettinger aufgerückt? Und sollte dieser zweite Kaspar ein anderer sein, käme als einziger (der so hiess) bloss sein 21jähriger Sohn in Frage. Der wäre also mir nichts, dir nichts aus Freiburg zurückgekehrt und wäre als junger Habenichts gleich zum Gemeindeammann gewählt worden? Zudem ist klar, dass es sich bei diesem Sohn Kaspar um den späteren Bierbrauer handelt, der im heutigen Casino eine Wirtschaft führte und etwas abschätzig als „Güllesüüder“ bezeichnet wurde. Der ist gewiss nie Gemeindeammann gewesen.

So begab ich mich denn auf die Suche nach Belegen in den Akten, und die besagen folgendes: Zwischen 1844 und 1849 ist Kaspar Brühlmeier in den Staatskalendern des Kantons Aargau als Grossrat ausgewiesen. Am 31. Oktober 1844 wird er von der Gemeindeversammlung zum Präsidenten einer Spezialkommission gewählt, und ebenso am 10. Juli 1845. Am 10. Okt. und 11. Dez. 1845 wird er in den Protokollen als „Kantonsrat Brühlmeier“ erwähnt, und bereits ein Jahr später, am 23. November 1846, wird er wieder in den Gemeinderat gewählt. Zwischen dem 14. Mai 1848 und dem 16. Nov. 1851 amtet er mehrmals als Vizeammann und Vorsitzender der Gemeindeversammlung. Am 31. Dez. 1849 macht er 16 Stimmen als Ammann und ist dann am 23. August 1852 bei der Wahl in den Gemeinderat nicht mehr dabei. Er verschwindet hingegen durchaus nicht in der Versenkung, denn im selben Jahr ist er als Friedensrichter bezeugt, und am 24. Nov. 1856 wird er als Präsident der Versammlung der Zehnt- und Bodenzinspflichtigen erwähnt. Die Gemeindeversammlungen vom 6. und 14. Juni. 1857 werden durch Friedensrichter Kaspar Brühlmeier geleitet und zwischen dem 14. August 1857 und dem 9. September 1860 wirkt er erneut als Gemeindeammann, und nach 1860 wird er wiederum als Friedensrichter erwähnt. Fazit: Die Geschichte vom Wegzug nach Freiburg stimmt – jedenfalls so, wie sie in der „Geschichte von Wettingen“ geboten wird – nicht, und Kaspar Brühlmeier blieb in Wettingen ein aktiver und ganz sicher auch geschätzter Politiker.

Damit stellt sich natürlich die Frage, wie eine solche Story entstehen konnte. Der Autor Anton Kottmann, der sonst seine Quellen gewissenhaft angibt, hat hier leider eine Ausnahme gemacht und kann sich aus dem Gedächtnis nicht mehr an die Quelle erinnern, was sehr begreiflich ist nach den fast 25 Jahren, die seit seiner Forschungsarbeit ins Land gegangen sind. Er hat mich aber darauf hingewiesen, dass er sich oft auf die Vorarbeiten von Eduard Spiegelberg gestützt hat. So habe ich mich denn bei diesem gründlich umgesehen und folgendes festgestellt: Es liegen drei Texte Spiegelbergs zum Thema „Gemeindebehörden von Wettingen“ in maschinengeschriebenen A4-Blättern vor. Sie sind undatiert, weshalb eine Reihenfolge der Entstehung auf den ersten Blick nicht auszumachen ist. Über Kaspar Brühlmeier bzw. die ominöse Finanzaffäre verbunden mit der rätselhaften Auswanderung nach Fribourg äussert er sich in zweien der drei Texte:

a) Längerer Text, 28 Seiten, ohne Haupttitel, nur Kapitelüberschriften:

Kapitel „Der Gemeinderat Wettingen von 1840 – 1850“: Hier ist auf S. 7 f. zu lesen: „Im Juni 1844 klagte das Bezirksamt beim Bezirksgericht gegen Gemeindeammann Kaspar Brühlmeier wegen Fahrlässigkeit im Betreibungswesen. Verschiedene Posten, die er verschuldet hatte, musste er der Gemeinde vergüten.“ Und dann folgt die bereits zitierte Aussage von Gerichtsschreiber Dorer, worauf Spiegelberg (S. 3) fortfährt: „Gemeindeammann Christoph Egloff wurde der Nachfolger von Gemeindeammann Kaspar Brühlmeier, alt Friedensrichter, der nach seinem Rücktritt die Gemeinde verliess und sich mit seiner Familie in Fribourg ansiedelte. Am 4. August 1865 stellte der Gemeinderat ihm ein sehr gutes Leumundszeugnis aus.“

In völligem Widerspruch zur angeblichen Auswanderung im Jahre 1844 lesen wir auf derselben und den folgenden Seiten, dass Kaspar Brühlmeier 1846 in den Gemeinderat gewählt wurde, 1849 als Vizeammann waltete, 1852 aus dem Gemeinderat zurücktrat, aber 1857 wieder als Ammann gewählt wurde. Und auf S. 15 schreibt Spiegelberg, die Direktion des Innern habe im Oktober 1860 dem Kaspar Brühlmeier „die nachgesuchte Entlassung als Gemeindeammann erteilt auf den Zeitpunkt seiner Beeidigung als Friedensrichter.“

Es hätte eigentlich Spiegelberg selbst auffallen müssen, dass ihm ein Lapsus unterlaufen war. Was soll ein Leumundszeugnis von 1865 mit einem Rücktritt und einer Auswanderung von 1844 zu tun haben? Zudem war nicht Christoph Egloff der Nachfolger von Kaspar Brühlmeier, sondern dessen Bruder Leonz Brühlmeier, was Spiegelberg an anderer Stelle selbst schreibt. Aber auch am Ende der 2. Amtszeit, d.h. 1860, ist Kaspar nicht ausgewandert, sondern hat sein Amt zur Verfügung gestellt, weil er Friedensrichter werden wollte.

b) Kürzerer Text (4 S.), betitelt: Die Gemeindeammänner des Dorfes Wettingen seit der Unabhähigkeit vom Kloster (1798)

Da ist Seite 2 f. folgendes zu lesen: „Am 24. Juni 1844 klagte das Bezirksamt beim Bezirksgericht gegen Gemeindeammann Kaspar Brühlmeier wegen Fahrlässigkeit im Betreibungswesen. In der Folge trat er von seinem Amt zurück. Er war für verschiedene Posten als Selbstzahler verfällt worden.“ Dann folgt auch hier das erwähnte Zitat von Gerichtsschreiber Dorer, worauf Spiegelberg fortfährt: „Am 5. August 1844 hat die hohe Regierung dem Kaspar Brühlmeier die nachgesuchte Entlassung als Gemeinderat und Ammann erteilt. Am 21. August vormittags wurde zu dessen Nachfolger gewählt: Leonz Brühlmeier. Er amtete von 1844 -1845.“ Und weiter unten auf S. 3 steht: „Im Mai 1857 nahm der zum Amtsstatthalter gewählte Jakob Bopp die Entlassung als Gemeindeammann. Die auf den 14. Juni gleichen Jahres festgesetzte Ersatzwahl fiel auf Kaspar Brühlmeier, Friedensrichter, der von 1857 – 1860 amtete. … Im Oktober 1860 nahm Brühlmeier die Entlassung als Gemeindeammann. 1865 liess er sich mit seiner Familie in Freiburg nieder.“

Was ist all dem nun zu entnehmen?

Erstens dürfte Kottmann niemals davon reden, Brühlmeier hätte „das veruntreute Geld“ zurückgezahlt. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass er sich bedient und unehrenhaft gehandelt hat, sondern er musste für Verluste gerade stehen, die durch Verschulden der Gemeindeverwaltung entstanden waren. Allenfalls kann man ihm Schlamperei vorwerfen, vielleicht aber war es auch Nachsicht gegenüber jenen, die von den Wohlhabenden betrieben wurden und nicht bezahlen konnten. Er zahlte aber nicht zurück, sondern zahlte. Hätte er Geld veruntreut, wäre er keinesfalls Kantonsrat geworden bzw. geblieben, er wäre nicht erneut in den Gemeinderat gewählt, er wäre nicht Friedensrichter geworden, nicht ein zweites Mal zum Ammann auserkoren und noch ein weiteres Mal mit dem Friedensrichteramt betreut worden. Auch hätte ihm der Gemeinderat keinesfalls ein sehr gutes Leumundszeugnis ausgestellt. Ich bin überzeugt: Kaspar Brühlmeier war ein Ehrenmann. Gewiss war auch die Ausübung des Gemeindeammann-Amtes in den schwierigen Jahren 1857 – 1859 besonders anspruchsvoll, denn sie waren geprägt durch die Misswirtschaft und die Veruntreuungen des Gemeindekassiers Johann Paul Kramer.

Und zweitens scheint etwas an der Geschichte mit dem Auszug nach Fribourg wahr zu sein, denn sonst hätte es Kaspar nicht nötig gehabt, sich ein Leumundszeugnis auszustellen. Aber er verliess Wettingen erst 1865, und da kam sein Sohn Kaspar, der Bierbrauer, bestimmt nicht mit, und auch bei den andern beiden bereits erwachsenen Kindern, dem Sohn Johann Paul (geb. 1833) und der Tochter Alberika Walburga Katharina (geb. 1837), ist es zumindest fraglich, ob sie mitgingen. Belegt ist, dass Johann Paul 1870 nach Argentinien auswanderte und seine Schwester ebenfalls über den Ozean zog, wohin, ist unbekannt. Möglicherweise sind die beiden miteinander ausgewandert. Johann Paul ist 1888 zurückgekehrt und hat hier geheiratet, von der Tochter hat man nichts mehr gehört. Interessant zu vernehmen ist auch, dass der oben erwähnte Gemeindeseckelmeister Johann Paul Kramer nach seiner Entlassung aus dem Zuchthaus Lenzburg 1870 nach Argentinien auswanderte. Die Vermutung liegt nahe, dass dies gemeinsam mit den beiden Nachkommen seines ehemaligen Chefs geschah.

Nach all dem würde man gerne wissen, was Kaspar in Fribourg tat und weshalb er gerade diese Stadt zu seinem neuen Aufenthaltsort wählte. Seine Frau starb 1873, er erst 1886.

Anmerkung April 2013/22: Aus Berichten, die ich aus Brasilien erhalten habe, sowie aus einem Artikel in der „Nordwestschweiz“ vom 13. August 2016 geht hervor, dass dort eine Schweizer-Siedlung den Namen „Freiburg“ trug. Damit bekommt die ganze Geschichte auch einen Sinn: Kaspar wanderte, wie andere Mitglieder seiner Familie, nach Amerika aus, und mit „Freiburg“ ist durchaus nicht die Schweizer Stadt Fribourg gemeint, sondern mit hoher Wahrscheinlichkeit das 150 km von Rio entfernte und 1818 von Schweizern gegründete Nova Friburgo.

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