Arthur Brühlmeier

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In Pestalozzis Biographie gibt es drei gewichtige Berührungspunkte mit Estland: Der erste ist der seltsamste, der zweite der vielfältigste und der dritte der schönste.

1. Man kann es nicht anders als seltsam bezeichnen, dass die durch Zar Alexander I. 1802 wiedergegründete Universität Dorpat (Tartu) dem Schweizer Pädagogen Johann Heinrich Pestalozzi im Herbst 1804 eine Professur antrug, verbunden mit dem Auftrag, das Schulwesen in Estland und Livland zu organisieren. Offensichtlich handelte der Briefschreiber, der Physik-Professor Georg Friedrich Parrot, im Auftrage des Zaren. Diesem waren Pestalozzis Erziehungsideen höchst wahrscheinlich durch César Laharpe anempfohlen worden. Laharpe hatte nämlich in St. Petersburg von 1784 – 1795 als Lehrer und Erzieher des späteren Zaren gewirkt und war, obwohl er in der Schweiz als Revolutionär galt und auch als solcher wirkte, 1801/02 vom Zaren nach Russland eingeladen worden und wirkte beim Briefwechsel zwischen Parrot und Pestalozzi als Vermittler.

Pestalozzi soll sich nach Aussagen seiner Umgebung tatsächlich mit dem Gedanken getragen haben, diesen gewiss ehrenvollen Auftrag anzunehmen. Schliesslich siegte aber die Vernunft, und er wies dieses Ansinnen im Hinblick auf sein fortgeschrittenes Alter – er war damals 58 Jahre alt – , insbesondere aber im Hinblick auf die mangelnden Kenntnisse der Sprache und der Verhältnisse des vorgesehenen Wirkungskreises zurück. Aber der Antrag der Dorpater Universität hatte für Pestalozzi doch ein Gutes: Er liess sich in geeigneten Zusammenhängen als Beleg verwenden für das weltweite Interesse an seiner Methode. Eine solche Gelegenheit ergab sich, als er vier Jahre später die schweizerischen Regierung um eine Prüfung seiner Methode im Hinblick auf deren allgemeine Einführung an Schweizer Schulen bat. Dabei betonte er, man schenke seiner Methode in allen Teilen Deutschlands, in Spanien, in Preussen, in Württemberg, in Bayern und Baden grosse Aufmerksamkeit, und wies schliesslich ganz besonders auf Russland hin, wobei er seine Berufung an die Universität in Dorpat eigens erwähnte.

2. Die Vielfalt der Beziehungen Pestalozzis zu Estland offenbart sich im Zusammenhang mit der Herausgabe seiner gesammelten Schriften beim Verlag Cotta ab 1819. In den Bänden 1, 5 und 7 veröffentlichte Pestalozzi Listen von insgesamt 1560 Subskribenten, angeführt von „Seiner Majestät, dem König aller Russen“, welcher das Werk mit 5000 Rubel unterstützte. Unter den Käufern von Pestalozzis Werken finden sich die folgenden 15 Persönlichkeiten aus Estland:

–       Frau Gräfin von Buxhövden-Dellinghausen, auf dem Schloss Lohde

–       Frau Richterin von Engelhardt-Gründewaldt, auf Koddasem

–       Dr. Moritz von Engelhardt, Dorpat

–       Dr. Gustav Ewers, Hofrat und Professor der Reichsgeschichte, Dorpat

–       J. von Grünewaldt, in Koick

–       C. Lenz, Oberpastor, Dorpat

–       Landrat und Richter von Maydell, auf Stenhusen

–       Herr von Paetz, auf Pirck

–       Herr von Richter, Landrat und Richter auf Waimel

–       Herr Wöhrmann, Lehrer der alten Literatur an der Revalischen Dom-Schule

–       Baron Christoph von Stackelberg, Reval

–       Graf und Landrat Ludwig August von Mellin aus Toal

–       Baron von Ungern-Sternberg, Hauptmann aus Errestfer

–       Graf und General von Igelström

–       Herr C. von Staden, Fellin (Livland)

Geschichtskundige Leser aus Estland werden in dieser Liste einer Reihe von Persönlichkeiten begegnen, die im In- und Ausland Bedeutendes geleistet haben und die auch aufzeigen, welch vielfältiges Beziehungsnetz Pestalozzi und seine Mitarbeiter auf der Basis ihrer Erziehungsideen zu entwickeln verstanden.

3. Eindeutig die schönste Beziehung zwischen Pestalozzi und Estland begründete der estnische Maler Gustav Adolf Hippius. Verschiedene Maler und Bildhauer haben Pestalozzis Physiognomie der Nachwelt überliefert, aber das eindeutig schönste Pestalozzi-Bildnis verdanken wir Hippius, der 1818 den 72-jährigen Pädagogen portraitierte. Wie aus keinem andern Bild kommt uns hier Pestalozzis geistiger Adel und die sprichwörtlich aus den Augen leuchtende Liebe entgegen. Pestalozzi selber, der wohl eher selten in den Spiegel geblickt haben mag, empfand das Bild als geschönt, weshalb er es mit folgender Widmung signierte:

„Freund, versuchen Sie Ihre Kunst immer am Schönen; am Verunstalteten verschwendet die Kunst ihre Kräfte umsonst. Reisen Sie glücklich, mein Dank und meine Liebe folgen Ihnen herzlich. Pestalozzi.“

Anlässlich des hundertsten Geburtstages von Pestalozzi im Jahre 1846 arbeitete dann Hippius die Bleistiftzeichnung um zu einer Lithographie, und als glücklicher Besitzer eines solchen Originals freut es mich, mit diesem Bild den Bewohnern Estlands nicht nur ihren begnadeten Maler Hippius, sondern auch den Philosophen und Pädagogen Pestalozzi ins Gedächtnis zurückzurufen.

Hippius neu

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