Arthur Brühlmeier

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Arthur Brühlmeier
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Der Lehrer im Spannungsfeld zwischen verpflichtetem und freiem Handeln

Publiziert in der Jubiläumsschrift 125 Jahre St. Michael Zug 1997

Im Rückblick auf meine 43-jährige Lehrtätigkeit freue ich mich darüber, dass ich niemals einen Stoff habe vermitteln müssen, den ich nicht selber wählte oder selber behandeln wollte. Ich fühlte mich in all den Jahren als freier Mensch und trug die volle Verantwortung für das, was ich in den Unterricht einbrachte. Ich sehe aber, dass dies je länger je weniger Lehrkräfte von sich behaupten können, ja dass die nicht zu verkennende Tendenz der Verbeamtung der Lehrer viele, denen die Freiheit ein unverzichtbares Lebenselement ist, aus dem Schuldienst hinausdrängt. So möchte ich denn hier aufzeigen, weshalb die Bildungspolitik auf dem Holzweg ist, wenn sie – aus welchen Gründen auch immer – die Freiheit der Lehrer unnötig beschneidet.

Übersicht über die Thematik

Es gehört zum Wesen des Menschen, dass er handelt, d.h. die dingliche und gesellschaftliche Welt gestaltet und umgestaltet. Hierbei gibt es für den Einzelmenschen zwei Möglichkeiten: Entweder handelt er frei aus sich heraus in Eigenverantwortung (freies Handeln) oder ist Teil eines grösseren Ganzen und dient dessen Willen (verpflichtetes Handeln). Im Folgenden soll aufgezeigt werden,

  • dass jede handelnde Institution, insofern sie mit Macht ausgestattet ist, die von ihr abhängenden Menschen in Pflicht nimmt, von diesen folglich verpflichtetes Handeln abverlangt
  • dass es zweifellos Bereiche gibt, in denen verpflichtetes Handeln zum Ziel führt
  • dass hingegen die Bildung und Erziehung des Menschen zu jenen Bereichen gehört, die wesensmässig auf freies Handeln angewiesen sind
  • dass demgemäss im gesamten Bildungs- und Erziehungswesen den bildenden und erziehenden Personen insofern eine zentrale Funktion zukommt, als in ihnen der Umschlag vom verpflichteten zum freien Handeln stattfinden muss
  • dass darum alle Bestrebungen der Bildungspolitik, die den Lehrer als blossen Vollstrecker ihrer Ziele sehen, erfolglos bleiben
  • weshalb einerseits der Bildung und permanenten Fortbildung der Lehrkräfte erste Priorität zukommt
  • und andererseits jeder Bemühung um eine Verbesserung des Bildungsstandes durch die konkrete Individualität der Lehrkräfte klare Grenzen gesetzt sind.

Freies und verpflichtetes Handeln

Eine Handlung ist frei, wenn sie vom Handelnden selbst gewählt und verantwortet wird. Verpflichtetes Handeln entsteht durch handelnde Institutionen (Staat, Wirtschaft, Kirche, Schule, Vereine, Verbände usf.). Diese schaffen Freie und Hörige: Frei sind nur jene, die im Rahmen einer bestimmten Institution über Kompetenzen verfügen, sei es, um die Institution selbst zu gestalten, sei es, um mittels der Institution gesellschaftliche Ziele zu erreichen. Hörig hingegen sind jene, die sich dem Willen der Institution zu fügen haben und bei Verweigerung missliebige Konsequenzen gewärtigen müssen. Jede grössere Unternehmung, in der Macht im Spiel ist (und das heisst auch: Recht, denn Recht ist stets mit Macht gepaart), erfordert und schafft diese Zweiteilung.

Nun besteht allerdings für den Einzelmenschen die Möglichkeit, in sich das verpflichtete Handeln in ein freies zu verwandeln. Dieser Umschlag vom verpflichteten zum freien Handeln geschieht immer dann, wenn sich jemand ganz mit den Zielsetzungen der handelnden Institution identifizieren kann. Dann verliert sein Handeln den Charakter des Pflichthaften, es wird frei und selbst verantwortet.

Bereiche für verpflichtetes Handeln

Nun gibt es durchaus Bereiche, in denen verpflichtetes Handeln problemlos zur Verwirklichung der angestrebten Ziele führt. Es sind grundsätzlich jene Gebiete, in denen es um die Gestaltung dinglicher oder rechtlicher Verhältnisse geht. So ist jeder Arbeitnehmer in der Wirtschaft oder jeder Staatsbeamte gewohnt, Aufträge nach Vorschrift auszuführen, womit sich der institutionelle Wille realisiert. Die in den Prozess involvierten Menschen funktionieren als unselbständige und für die Ziele ihres Handelns nicht primär verantwortliche Teile eines übergeordneten Handlungszusammenhangs. In diesen Bereichen mag zwar auch freies Handeln mit dem verpflichteten verbunden sein, aber es ist nicht das Wesentliche, sondern das Zufällige.

Bereiche des freien Handelns

Demgegenüber – und dies ist das Entscheidende meines Gedankengangs – gibt es Lebensbereiche, zu deren Gestaltung und Verbesserung nicht das verpflichtete, sondern das freie Handeln das Konstituierende ist. Es sind dies all jene Bereiche, in denen nicht die Gestaltung äusserer Bedingungen (gesellschaftliche Zustände, dingliche Verhältnisse), sondern die ‘Gestaltung’ des einzelnen Menschen selbst als Ziel vorgesetzt ist. Diese Bereiche sind: Seelsorge, Heilung und Pflege von Körper, Seele und Geist sowie Erziehung und Bildung. In diesen Gebieten kann der institutionelle Wille Verbesserungen bloss ermöglichen, nicht aber bewirken. Die klassischen Mittel der Macht, denen sich Institutionen zur Verwirklichung ihrer Ziele bedienen und (leider) bedienen müssen, bleiben nicht bloss wirkungslos, sondern sind klar kontraproduktiv.

Weshalb ist das so?

Der Grund liegt darin, dass im erwähnten Gebiet der ‘Gestaltung des Menschen’ nicht auf passive Verhältnisse (z. B. Materie) eingewirkt wird, sondern auf Subjekte mit einem eigenen Willen. Hier besteht zwischen Handlungsabsicht und Erfolg nicht (wie im Bereich des Dinglichen) die einfache Relation von Ursache und Wirkung, die den hundertprozentigen Erfolg garantiert. Vielmehr tritt hier der Mensch in eine doppelseitige, dialogische Beziehung ein und erreicht – sofern wir die nicht-dialogische Beziehung von Zwang und Unterdrückung des andern ausschliessen wollen – seine Absichten nur dadurch, dass sich sein Dialog-Partner mit seinen Absichten anfreundet und sie sich zu eigen macht. So liesse sich sagen: Wir handeln an der Welt, aber mit den Mitmenschen. Insofern wir mit jemandem handeln, besteht indessen zwischen unsern Absichten und dem erreichten Ziel keine zwingende Notwendigkeit, weil sich hier zwischen Ursache und Wirkung der Eigenwille unseres Partners als integrierende Entscheidungsinstanz einschaltet.

Die Konsequenzen für Bildung und Erziehung

Für den Bereich der Bildung und Erziehung bedeutet dies: Es gibt grundsätzlich keine Garantie dafür, dass das, was wir als Erzieher beim Kinde erreichen wollen, auch eintrifft – eben darum, weil das Kind (und dies mit zunehmendem Alter immer stärker) einen eigenen Willen und damit eine eigene Entscheidungsinstanz ausbildet und darstellt. Wenn wir also das Kind im Sinne der Erziehung und Bildung ‘verändern’ oder ‘gestalten’ wollen, so kann dies niemals ein Handeln am Kinde, sondern immer nur ein Handeln mit dem Kinde sein. Bildungserfolge im Sinne unserer Absichten (etwa formuliert im Lehrplan) stellen sich nur in dem Masse ein, als sich der Schüler die von uns erwünschten Handlungs- und Verhaltensimpulse selbst zu eigen macht und aus eigenem Willen das tut, was wir als erforderlich erachten.

Man kann somit als Erzieher keinem Kinde seinen Willen auf gleiche Weise aufzwingen, wie man einem Stück Ton die gewünschte Form aufzwingt. Damit stellt sich die grundsätzliche Frage, wie die von der Gesellschaft erwünschten Handlungsimpulse in einem Schüler ‘erzeugt’ werden können. Oder anders: Wie gewinne ich den Eigenwillen des Kindes für das, was der Gesellschaft und mir als Erzieher notwendig scheint? Oder etwas praktischer: Wie ‘motiviere’ ich den Schüler, das zu leisten und zu lernen, was z.B. die Lehrpläne von ihm verlangen?

Wie gesagt: Der Schüler muss in jedem Falle ja sagen zur Zumutung, dass ‘man’ ihn bilden will. Es ist anzunehmen, dass viele Schüler einige Zielsetzungen unserer Lehrpläne von sich aus bejahen würden, ohne dass irgend jemand ‘nachhilft’. Indessen entspricht es dem Selbstverständnis einer Lehrplan- oder Lehrmittelunternehmung, dass die Schüler sich nun eben auch auf Dinge einlassen, die sie von sich aus nicht wählen würden. Das bedeutet, dass sie jemand – eben der Lehrer – veranlassen muss, ihren Eigenwillen zur Auseinandersetzung mit dem Geforderten zu aktivieren.

Das kann nun aber der Lehrer keinesfalls, solange er im Rahmen der Institution Schule (Gesetz, Lehrplan, Lehrmittel und -methoden etc.) bloss verpflichtet und nicht frei handelt. Der Grund liegt darin, dass wirkliche Lernerfolge nur im Rahmen einer Lehrer-Schüler-Beziehung entstehen können, welche auf gegenseitigem Respekt und damit auf echter Autorität des Lehrers beruht. Die echte Autorität ist jenes Bindeglied, das zwischen der Erziehungs- oder Bildungsabsicht einerseits und dem Eigenwillen des Kindes anderseits steht. Nur die echte Autorität vermag zu erwirken, dass das Kind die Bildungserfordernisse zum Inhalt seines eigenen Willens macht. Nun ist aber echte Autorität grundsätzlich ein Ausdruck einer freien, selbstbestimmten Persönlichkeit und beruht auf einer Überzeugungskraft und einer Glaubwürdigkeit, die nur auf dem Boden der Selbstverantwortung wachsen können. Echte Autorität steht im klaren Widerspruch zur fremdbestimmten Vereinnahmung des einzelnen Lehrers für ein kollektives Handeln, mit dem er sich nicht identifiziert. Wir Lehrer sind darum unsern Schülern gegenüber nur insofern glaubwürdige Autorität, als es für sie erlebbar wird, dass unsere Anforderungen, die wir stellen, auf eigener Überzeugung und eigener Verantwortung beruhen. Geben wir uns ihnen aber als ferngelenkte Marionetten zu erkennen, werden wir unglaubwürdig und vermögen – ohne den Widerspruch vertuschen zu können – Bildungsanforderungen bloss noch mit zwielichtigem Druck durchzusetzen. Wirkliche Bildungserfolge können sich dabei nicht einstellen.

Das bedeutet: Der Lehrer, der gleichsam als Vermittler zwischen den Absichten der Institution Schule und dem konkreten Schüler steht, muss ein freier Mensch sein, der das, was er den Schülern gibt, nicht einfach weitergibt, weil andere es von ihm wollen, der also – um mit Hartmut v. Hentig zu sprechen – nicht ‘Verkäufer’ des Bildungsgutes ist, sondern das, was in den Schülern zum Leben erweckt werden soll, selbst verkörpert, der also – wiederum v. Hentig – als ‘Darsteller’ wirkt. Nur das, was sich der Lehrer aus echtem Interesse oder Einsicht in Notwendigkeiten – somit aus freiem Willen – seelisch-geistig angeeignet hat, entwickelt im Rahmen seiner wirklichen Autorität jene Strahlungskraft, die das Innenleben des Kindes – das Staunen, die Neugier, das Interesse, die Lernlust – tatsächlich zu erreichen und damit das Kind zur Selbsttätigkeit anzuregen vermag.

Da somit der Lehrer dem gesellschaftlich verordneten Lehrgut gegenüber als selbstbestimmte Person steht und nicht als fremdbestimmte Durchlaufstation, da somit die verordneten Bildungsgüter zuerst in ihm zu einem echten Bildungserlebnis werden müssen, gilt für ihn all das ebenfalls, was bezüglich des Beeinflussungsversuchs von irgend einem Menschen oder einer Bestimmung gegenüber einem Kinde gesagt wurde: Auch er ist keine Marionette, die die Beine spreizt, wenn Fäden gezogen werden, sondern ein Subjekt mit eigener Entscheidungskompetenz. Darum werden nur jene von aussen kommenden Handlungsimpulse wirksam, zu denen er ja sagen und die er zum Inhalt eigenen Wollens machen kann. Mit andern Worten: Im Lehrer schlägt das verpflichtete Handeln in ein freies um und muss in ein solches umschlagen, wenn der Bildungserfolg eintreten soll.

Folgerungen

Daraus ergibt sich zuallererst eine Forderung an angehende und aktive Lehrer: Sie müssen grundsätzlich bereit sein, sich für alles Wesentliche zu interessieren. Das leisten nur Menschen, die Langeweile nicht kennen, die in allem das Erregende zu erahnen und zu erkennen vermögen, die sich ohne viel Aufhebens auf Neues einlassen und sich in einem neuen Gebiet rasch orientieren und in ihm das Elementare, das es dann zu vermitteln gilt, erkennen können. Das wiederum erfordert kreative, phantasievolle Persönlichkeiten, denen es eigen ist, sich konzentriert und hinreichend gründlich in die tausend Fazetten der Welt einzulassen. Letztlich schaffen das wohl nur Menschen, die die Welt und das Leben lieben.

Das ist das Ideal, und es ist einfach, es zu formulieren. Wesentlich schwieriger ist die praktische Umsetzung, denn jeder hat seine Grenzen: Tiefsitzende Erlebnisse können als abstossende Kräfte wirken; die Energie, um Neues zu lernen, ist beschränkt; beschränkt sind wohl auch die Auffassungsmöglichkeit und die Zeit, die man braucht, um sich in einem neuen Gebiet wirklich auszukennen. Das sind echte Grenzen und begrenzen real die Möglichkeit des jeweiligen Lehrers, den Schülern echte Bildung zu vermitteln, so wünschbar das Fehlen dieser Beschränkungen auch sein mag. Daraus erwächst jedem Lehrer die Aufgabe, an diesen Grenzen zu arbeiten: sie sich bewusst zu machen, den Gründen auf die Spur zu kommen, beharrlich den Gesichts- und Interessenkreis und damit die Lehrkompetenz zu erweitern. Das ist eine lebenslange Aufgabe.

Aber auch die Institution Schule (Staat, Bildungsverwaltung, Lehrplan- und Lehrmittelproduzenten, Erziehungswissenschaft) müsste um diese Grenzen wissen und sie respektieren. Keinesfalls darf sie davon ausgehen, es könnte jedem Lehrer so ohne Weiteres gelingen, alles, was ihr gerade so richtig scheint, auf Befehl hin zu verarbeiten und seelisch-geistig zu integrieren. Die Bildungspolitik müsste den persönlichen Voraussetzungen der Lehrer – Stärken und Schwächen, besondere Begabungen und Kompetenzen – viel mehr Gewicht einräumen. Das geschieht gewiss nicht, wenn eine Reform die andere jagt und neue Methoden und Lehrmittel in derart kurzen Abständen auf den Mark geworfen werden, dass es einem Normalbegabten kaum mehr möglich ist, sich damit ausreichend und gründlich genug zu befassen. Und es geschieht auch nicht, wenn man sich in der Bildungspolitik vom Prinzip der Vereinheitlichung leiten lässt. Der Hobby-Imker soll das Recht und die Pflicht haben, in seiner Klasse länger bei den Bienen zu verweilen als der Hobby-Ornithologe, der dann eben seinen Schülern den Sinn für den Vogelgesang wecken kann. Die konkreten Stoffe können sehr unterschiedlich gewählt werden, wesentlich ist, dass echte Bildung geschieht, und das passiert, wenn diese Stoffe so behandelt werden, dass sich – um mit Pestalozzi zu sprechen – die Kräfte und Anlagen der Kinder optimal entwickeln können.

Nun sehe ich sehr wohl, dass es auch Reformansätze gibt, die dem Lehrer wieder mehr Kompetenz zugestehen wollen. Andererseits bin ich überzeugt (ich kann mich ja täuschen), dass wesentliche Komponenten der gegenwärtigen Bildungspolitik und -verwaltung weder die Individualität noch die Begrenztheit des einzelnen Lehrers ernsthaft in Rechnung stellen. Mir kommt es so vor (womit ich wiederum die Subjektivität meiner Aussage eingestehe), als befänden sich die Bildungsverwaltung und die ihr zu Diensten stehende Erziehungswissenschaft in einem Dauerzustand der Verzweiflung, weil all das Gute, das sie ersinnen und verordnen, nicht greift. Denn niemand möchte wohl im Ernst behaupten, die Bildungserfolge unserer Schulen seien rundum zufriedenstellend. Also wird druck- und energiereich nachgeschöpft mit immer neuen Errungenschaften und Reformen, raffinierteren Lehrmitteln und präziseren Vorschriften und Verboten, die den Lehrer noch mehr entmündigen. Selbstverständlich zweifle ich nicht an den guten Absichten, von denen diese Bestrebungen getragen sind. Man lässt sich schliesslich alles auch einiges kosten: Immerhin gibt heute die öffentliche Hand in der Schweiz jährlich über 20 Milliarden aus für das Bildungswesen, die Gebäudekosten nicht eingerechnet. Gerne würde ich all den Verzweifelten, die selber nicht Schule halten und darum den Bildungserfolg bloss mittelbar beeinflussen können, raten, einen Trichter auf ihren Arbeitstisch zu stellen, der sie täglich daran erinnert, dass sich die Menge, die unten herauskommt, nicht um das viel zu Viele kümmert, das oben hineingegossen wird. Sie sähen dann – mit Blick auf den engen Hals und im Bewusstsein, dass dieser den einzelnen Lehrer symbolisiert – das Missverhältnis zwischen einem beeindruckenden Aufwand von Bildungspolitik, Bildungsverwaltung und Erziehungswissenschaft einerseits und dem leider nicht grösser werdenden Ertrag auf der andern Seite.

Was also geschehen müsste, wäre – um im Bild zu bleiben und es etwas salopp auszudrücken – die Erweiterung des Trichterrohrs. Das geschieht aber nicht mit einer Ausbildungspraxis, die sich zu einem guten Teil bloss um kurzfristig erbrachte Leistungen – ausgedrückt in Notenwerten – kümmert, mit einer Praxis, die auf Quantität statt Qualität setzt, mit einer Praxis, in der sich ein Grossteil der Schüler gedrückt, erpresst und gehetzt fühlt. Angehende Lehrer müssen über viele Jahre hinweg das Wesen des wirklich Bildenden an sich selbst erlebt haben: sich in Musse in eine Sache vertiefen, neue Interessen entwickeln, Freiheit in der eigenen Weitung des Horizonts erleben, einander gemeinschaftlich in einer Sache begegnen, die eigenen Schöpferkräfte entdecken und entwickeln. Solches ist nur möglich in weitgehend freien Schulgemeinschaften, die nicht von fern oben bis ins Letzte gesteuert sind und um jedes Stücklein Eigengestaltung einen bürokratischen Apparat in Bewegung setzen müssen.

Leider setzt die gegenwärtige Bildungspolitik auf das Gegenteil: Vereinheitlichung und Steuerung von ‘oben’. Das lässt sich an einem einfachen (aber ebenso zentralen) Beispiel belegen: Was ich bisher als einzelner Seminarlehrer entschied (nämlich die Wahl der Lehrgegenstände) und worein sich nicht einmal der Seminardirektor mischte, kann gemäss neuer Rechtslage (Interkantonale Vereinbarung über die Anerkennung von Ausbildungsabschlüssen vom 18. Feb. 1993, Artikel 7) künftig die EDK (Erziehungsdirektoren-Konferenz) in Bern festlegen. Das ist mit Sicherheit der falsche Weg, denn er degradiert den Lehrer zum Vollziehungsbeamten und führt dazu, dass Lehrkräfte, die bis anhin frei zu handeln befugt waren, nunmehr zu verpflichtetem Handeln genötigt werden. Der Misserfolg ist vorprogrammiert.

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