Arthur Brühlmeier

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„Rothen“, „Rebmeister“ und „Höckler“

Auf S. 177 der „Geschichte von Wettingen“ findet sich eine Angabe über den Weinlesebeginn in den Jahren 1811 bis 1823. Als Quellenvermerk ist folgendes zu lesen: „Tagebuch des Distriktrichters Leonz Brühlmeier. Da wir dieses Tagebuch nirgends fanden, halten wir uns an die Chronik des Thimotheus Steimer im Provinzialarchiv Wesemlin und an die Chronik Spiegelberg.“ Inzwischen ist dieses Büchlein wieder aufgetaucht und nun in meinem Besitz. Eröffnet und zumeist geführt hat dieses Büchlein der bekannte Mathe Leonz Brühlmeier (StB 43), denn auf der ersten Seite steht: „Dises Büöchly gehört mir Mathe-Luntzy Brüöhlmeier Districhts Richter Von Wettingen“. Es wurde über drei Generationen vererbt bis zur Letzten dieser Linie, Emilia Verena Brühlmeier (1864 – 1954). Sie starb im Altersheim St. Bernhard, hatte das Büchlein aber bereits vorher dem Wettinger Lokalhistoriker und Lehrer Eduard Spiegelberg überlassen. Noch vor dessen Tod verlangte sie es zurück und überliess es dem ebenfalls an Lokalgeschichte interessierten Sales Zehnder, der es kürzlich unserer Familie aushändigte.

Im Büchlein liegt eine Notiz von Verena Brühlmeier folgenden Inhalts: „Dieses Notizbuch gehörte dem Vater meines Grossvaters. Wahrscheinlich verwaltete er etwas in Rebbergsachen, und soll man uns zu jener Zeit den Beinamen Brühlmeier, Rebmeisters gegeben haben. Die andern Brühlmeier, ich meine die von Oswald und Verwalter und Zimmermann Brühlmeier, zu denen auch die im Binz sowie die Familie der damaligen Arbeitslehrerin Verena Brühlmeier gehörte, hatten den Beinamen ’s Rote“.

Forscht man in den Dokumenten des ausgehenden 18. und des 19. Jh. nach, begegnet man tatsächlich immer wieder den beiden Kennzeichnungen „Rebmeisters“ oder „des Rothen“ (oder einfach „Rothen“) bzw. „Rothenpeters“. Es würde zu weit führen, genau zu erklären, wie allmählich Klarheit entstand, welche die „Rebmeisters“ und welche die „Rothen“ waren. Die Zweiteilung hat schon sehr früh eingesetzt, vermutlich bei den Enkeln des Geschlechtsgründers. Dieser hatte zwei Söhne, den jüngeren Martin, dessen Nachkommenschaft mit der Generation der Urenkel erlosch, und den älteren Hans Ulrich, welcher der Stammvater aller späteren und heutigen Brühlmeier ist. Dieser hatte wiederum 2 Söhne mit Nachkommen, nämlich Adam (1675 – 1743; StB 882) und Leonz (1692 – 1752; StB 868). Die Bezeichnung „des Rothen“ finden wir einzig bei Nachkommen von Adam, allerdings erst ab seinen drei Enkeln, den Brüdern Peter, Johann und Josef. Sie müssen also die gemeinsame Bezeichnung entweder von ihren Vater Leonz (1713 – 1792; StB 1) oder – eher unwahrscheinlich – bereits vom Grossvater Adam erhalten haben. Ausser diesen drei Familien gab es zu Beginn des 19. Jh. nur noch eine Familie mit Nachkommen, nämlich jene von Mathe Leonz, der – wie sein Vater schon – das Amt des Rebmeisters bekleidete. Alle ihre Nachkommen gehören zur Rebmeister-Linie, die zahlenmässig kleiner, aber politisch einflussreicher war. Die klösterlichen Würden und Ämter (Gericht, Marianischer Rat, Steuermeier) sowie wichtige politische Ämter (Gemeindeammann, Richter, Kantonsrat) finden wir ausschliesslich auf einer Linie, die von Hans Ulrich (StB 883) via den jüngeren der beiden Söhne (Leonz 868, nicht Adam), dann über dessen älteren Sohn Johann Konrad (897), weiter (nach dessen frühem Tod) zu seinem Bruder Joseph Leonz (866), sodann zu dessen Sohn Mathe Leonz Brühlmeier-Wetzel (43) und weiter zu seinen Söhnen Kaspar Leonz Brühlmeier-Steimer (53) und Mathe Leonz Brühlmeier-Merkli (49) führt. Dessen Sohn (ebenfalls Kaspar) war Bierbrauer und geriet infolge Bürgschaften in finanzielle Nöte. Auch er war somit als Bürge begehrt und muss noch einiges an Ansehen genossen haben. In der Rebmeister-Linie finden wir auch eine Nonne (Tochter von Mathe Leonz, StB 43) und einen Priester (Johann Konrad Brühlmeier, StB 134, Enkel von Mathe Leonz). Als Erbe einer Rebmeister-Familie war er denn auch durchaus in der Lage, der Kirchgemeinde für den Bau der neuen Sebastians-Kirche ein Stück Land zu schenken. Heute ist bei uns die Rebmeister-Linie ausgestorben, aber sie lebt in Amerika weiter, weil Kaspar Brühlmeier-Beetschen (150) , ein Neffe des bekannten Gemeindeammanns Kaspar Brühlmeier, 1869 auswanderte und zum Stammvater einer zahlreichen Nachkommenschaft wurde.

Zu bemerken ist, dass das Amt des Rebmeisters offensichtlich sehr prestigeträchtig war. Bereits der Geschlechtsgründer Martin Meier genannt Brühlmeier wird bei der Geburt seiner Tochter Maria im Taufregister als Rebmeister des Klosters Muri erwähnt. Der spätere Zuname „Rebmeisters“ bezieht sich aber nicht auf das Kloster Muri, sondern auf die Verwaltung der Reben des Klosters Wettingen. Zu diesem Thema ist in der „Geschichte von Wettingen“ S. 174 zu lesen: „Das Wettinger Rebland gehörte entweder dem Kloster, das es teils durch Rebleute bebauen liess, teils als Teilreben an Zehntpflichtige verlieh, oder verschiedenen Klöstern, die ebenfalls den Zehnten an das Kloster gaben, oder Privatleuten, insbesondere aus Baden. Für die Eigen-Reben stellte das Kloster meist Tauner an, die von einem Rebmeister angeleitet wurden. Aus dem Eid, den der Rebmeister vor Stellenantritt ablegen musste, erhalten wir Einblick in die vielfältige und harte Arbeit im Weinberg: er hatte dafür zu sorgen, dass die Reben nach «des Berges Bruch und Recht» geschnitten – gehackt – mit Stecken versehen – «gestockbandet» – erbrochen – geheftet – und dreimal «gerüeret» wurden, dass ferner die umgefallenen oder zerbrochenen Rebstecken wieder aufgestellt und nach der Weinlese ausgezogen und versorgt wurden. Seine Aufgabe war es auch, des Gotteshauses Reben «in Ehren ze halten» wie sein «eigen Ding», fleissig Aufsicht zu führen, damit nichts versäumt und nichts gestohlen werden konnte, sowie über die Arbeitsleistungen der Helfer Buch zu führen. Die vom Kloster angestellten Rebleute oblagen teilweise über viele Jahre dieser Arbeit und gaben sie teilweise an ihre Nachkommen weiter.“

Der wohl berühmteste Rebmeister war Mathe Leonz Brühlmeier (StB 43), der Eigner des erwähnten Büchleins. Eine sorgfältige Auswertung dieses seltsamen Dokuments würde gewiss noch manch wissenswertes Detail zu Tage fördern. Aber die Arbeit wird sehr aufwendig sein, denn leider ist die Schrift dieses bedeutenden Wettingers nur schwer lesbar, und die erfolgte Übertragung des gesamten Büchleins in Stenographie durch Eduard Spiegelberg bringt einen auch nicht viel weiter. Anzumerken ist auch, dass nicht nur Mathe Leonz in das Büchlein geschrieben hat. Das zeigt nicht bloss die etwas andere Schrift, sondern die Tatsache, dass er bereits 1822 starb und somit die Einträge der Jahre 1823 und 1824 nicht von ihm stammen können.

Der wesentlich zahlreichere Zweig der „Rothen“ stand deutlich im Schatten der Rebmeister-Linie. Würdenträger sind da keine zu finden, sondern – wenn’s hoch kommt – Hofbesitzer, aber doch mehr Handwerker (Metzger, Maurer, Schuster, Schneider, Küfer, Zimmermann), Tagelöhner und leider auch Armengenössige. Da mutet es fast wie ausgleichende Gerechtigkeit an, wenn man feststellt, dass der einzige Brühlmeier, der als Krimineller in die Familiengeschichte eingehen sollte, der Rebmeister-Linie entspross. Damit aber ja kein Hochmut aufkomme: Die Schwester seiner Mutter war die Ehefrau des Gemeindeammanns Leonhard Brühlmeier (von der Rothen-Linie) …

Woher der Zuname „Rothen“ stammt, lässt sich bloss vermuten. Wahrscheinlich hatte einer der beiden, die für die Namensgebung in Frage kommen (Adam StB 882 oder dessen Sohn Leonz StB 1), rote Haare. Dies würde auch erklären, weshalb die Bezeichnung „Rothen“ nicht bloss den Brühlmeiern vorbehalten war; ich entdeckte nämlich im Urbar von 1797 bei einem Josef Leonzi Güller ebenfalls den Zunamen „des Rothen“. Wie einer stenographischen Notiz zu entnehmen ist, ist auch Spiegelberg der Ansicht, dass dieser Zuname einem Rothaarigen zu verdanken sei. Wie dem auch sei: Alle heutigen Brühlmeier in der Schweiz gehören zum Rothen-Zweig. Zu politischer Bedeutung kam dieser erst nach dem Schrumpfen des Rebmeister-Zweiges: Der bereits im vorhergehenden Abschnitt erwähnte Johann Philipp Leonhard Brühlmeier war 1883 bis 1893 und 1901 bis 1905 Friedensrichter und dann von 1905 bis 1913 Gemeindeammann. Dessen Sohn Hans Brühlmeier-Lienberger (längere Zeit in Würenlos wohnhaft) amtete ebenfalls als Friedensrichter des Kreises Wettingen.

Wie bereits zu Beginn dieses Kapitels erwähnt, hatte der Geschlechtsgründer Martin (StB 885) zwei Söhne, und die erwähnten Linien der „Rebmeister“ und „Rothen“ stammen beide vom älteren Hans Ulrich (StB 883) ab. Der jüngere Bruder, Martin (StB 888), hatte ebenfalls Nachkommen, aber seine Linie starb vermutlich vor oder nicht lange nach 1800 aus, denn keines der 7 Kinder seines Enkels Johann Konrad (StB 900) heiratete oder hatte Nachkommen. Ausser im Geburtsregister haben sie keine Spuren hinterlassen. Johann Konrad hingegen taucht in den Dokumenten immer wieder auf unter dem etwas seltsam anmutenden Zunamen „Höckler“. In unseren Ohren tönt dies nach einem Mann, der mehr im Wirtshaus hockt, als es der Frau lieb ist, und die Schenke bestimmt immer als Letzter verlässt. Spiegelberg ist denn tatsächlich auch der Ansicht, dass der Zuname „Höckler“ auf diese Weise zustande kam, doch ich bezweifle dies. Hätte nämlich dieser Zuname damals diese doch deutlich negative Wertung gehabt, so wäre er wohl nicht so in aller Selbstverständlichkeit in öffentlichen Dokumenten und sogar im Jahrzeitbuch der Kirche verwendet worden. Wohl eher hatte er etwas mit seinem Wohnsitz an der Äschstrasse (in Richtung Äsch links, d.h. zwischen Dorfbach und Strasse) zu tun. Ich könnte mir vorstellen, dass dort ein kleines Taunerhaus stand, das man „’s Höckli“ nannte und das er mit seiner Familie bewohnte. Seine Frau Anna Baltischwiler starb 1805, als er 73 war, aber offensichtlich hinderte ihn sein Alter nicht, noch ein zweites Mal zu heiraten, eine Anna Keller aus Endingen. Diese Ehe blieb dann allerdings kinderlos.

„Des Gerichts und Marianischen Rats Beiständer“

Wie erwähnt, bildeten für die Erforschung unseres Geschlechts die beiden Jahrzeitbücher eine entscheidende Quelle. Hier finden sich nicht bloss Namen, Todesdaten und Altersangaben der verstorbenen Brühlmeier, sondern darüber hinaus auch Angaben zur politischen Bedeutung einer Person. So erfahren wir, dass unser Geschlechtsgründer Martin (StB 885) nicht nur Rebmeister des Klosters Muri war (dieses verfügte über Grundeigentum in Wettingen), sondern auch Mitglied „des Gerichts und Marianischen Rates“. Auch dessen Sohn Hans Ulrich (883) war „des Gerichts und Marianischen Rats Beiständer“, wobei „Beiständer“ natürlich dasselbe ist wie „Beisitzer“ oder eben „Mitglied“. Und von seinem Sohn Leonz (868) ist gesagt, dass er „des Gerichts und des Marianischen Rates erster Assistent“ war. Auch dessen Sohn Konrad (897) war Mitglied des Gerichts und Marianischen Rats. Es scheint, dass es so etwas gab wie ein Anrecht eines Geschlechts auf diese Ämter und Würden, hatten sich diese doch hier nachweisbar über vier Generationen „vererbt“. Nun ist Konrad bereits mit 48 Jahren verstorben, weshalb diese Würden auf seinen Bruder Josef Leonz (866) übergingen. Und selbstverständlich gehörte auch dessen berühmter Sohn Mathe Leonz Brühlmeier (43) zu diesem erlauchten Kreis, nicht bloss als Mitglied, sondern als Pfleger mit weitreichenden Kompetenzen.

Bevor geklärt ist, was es mit diesen beiden Ämtern für eine Bewandtnis hat, fällt zuerst einmal auf, dass deren Inhaber ausschliesslich der Rebmeister-Linie angehörten und es keinerlei Hinweis gibt, dass auch die Rothen-Linie einmal zum Zuge gekommen wäre.

Darüber, was der „Marianische Rat“ war, konnte mich Herr Paul Fischer, ehemaliger Gemeindeammann von Neuenhof, aufklären. Durch verwandtschaftliche Beziehungen war er in den Besitz von Akten der Marianischen Bruderschaft von Wettingen gekommen, was ihn veranlasste, den Dingen auf den Grund zu gehen und die Akten schliesslich dem Gemeindearchiv zu übergeben. In Paul Fischers Arbeit vom 8. April 1994 ist zu lesen:

„Die Marianische Bruderschaft wurde im Jahre 1651 durch den aus Luzern stammenden Abt Bernhard Keller in der Klosterkirche zu Wettingen errichtet. Erster Präses der Bruderschaft, genannt Maria-Meerstern, war Pater Johann Breni von Rapperswil. Er gab ein sogenanntes Bruderschaftsbüchlein in Druck, das Statuten, Ablässe, Gesänge und Gebete beinhaltete. Die Statuten der Bruderschaft wurden 1652 vom damaligen päpstlichen Legaten bei der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Fürst Francesco Buccapaduli gutgeheissen und bestätigt. Durch seine Vermittlung wurde die Bruderschaft der Erzbruderschaft des allerheiligsten Altarsakramentes zu Sankt Peter in Rom einverleibt. Bis zur Aufhebung des Klosters im Jahre 1841 war ein Konventuale Präses der Bruderschaft. 12 Mitglieder bildeten den Bruderschaftsrat, von welchen einer als Präfekt, ein anderer als Sekretär amtete.

Dem Sekretär oder Pfleger oblag die Pflicht, Einnahmen und Ausgaben zu besorgen und dem Rate jährlich Rechenschaft abzulegen sowie dessen Weisungen und Vorschriften zu befolgen.

Die Marianische Bruderschaft setzte sich zum Ziel, den öffentlichen Gottesdienst mit geziemender Würde abzuhalten. Der wohlgeordnete Gottesdienst und die religiösen Übungen der Bruderschaftsmitglieder beeindruckten die Leute, und viele von Ihnen wünschten der Bruderschaft beizutreten. Dem entsprach 1655 der Bruderschaftsrat für alle Katholiken, und von dieser Zeit an soll sich die Bruderschaft als eine von der Pfarrei Wettingen unabhängige geistliche Privatgesellschaft über die ganze katholische Schweiz verbreitet haben.

Im Gedenken an die vorverstorbenen Bruderschaftsmitglieder hinterlegten mehrere Mitglieder des Vorstandes von Zeit zu Zeit dem Pater Präses Stipendien für heilige Messen, welche er für die Verstorbenen alljährlich zu lesen hatte. Das Stipendium wurde vom Pater Präses jedoch der Bruderschaftskasse zugeeignet. Durch Ersparnisse und freiwillige Zuschüsse der Religiosen des Klosters, der Prälaten und der Mitglieder des Marianischen Rates konnte mit der Zeit ein sogenannter Bruderschaftsfonds geäufnet werden. Das Geld wurde ausgeliehen, und mit dem Zinsertrag bestritt man die Ausgaben gemäss Stiftungszweck.“

Somit ist geklärt, dass die erwähnten Vertreter unseres Geschlechts Mitglieder des zwölfköpfigen Bruderschaftsrates waren. Es ist anzunehmen, dass das Kloster darauf bedacht war, die massgebenden eingesessenen Geschlechter in diesen Rat aufzunehmen. Da die Bruderschaft 20 Jahre vor unserem Geschlecht (2. Dynastie) gegründet wurde, kann man davon ausgehen, dass Martin nicht der erste, sondern der zweite in der Ahnenreihe war, der Einsitz im Marianischen Rat hatte.

Aber was bedeutet „des Gerichts“? Einschlägige Auskunft erhielt ich vom Abt des Klosters Wettingen-Meererau, der mir die Fotokopie des Aufsatzes „Die Zisterzienserabtei Wettingen“ von Anton Kottmann und Markus Hämmerle zustellte, worin u.a. von der niederen Gerichtsbarkeit, die das Kloster Wettingen inne hatte, die Rede und zu lesen ist:

„Im Bereich der Abtei Wettingen gab es, im Unterschied zu andern Gegenden, wohl nur ein niederes Gericht, das sowohl Frevelfälle wie zivilgerichtliche Vergehen behandelte, das sogenannte Twing- oder Jahrgericht. Dreimal im Jahr, am St.-Hilari-Tag (14. Januar), am St.-WalpurisTag (l. Mai) und am St.-Martins-Tag (11. November), fanden in den Gemeinden Twinggerichte statt, zu denen auch die Bauern, die Grundbesitz hatten, geladen waren, in Wettingen erst «unter dem Sarbach» im Dorf, später im Wirtshaus bei der Klosterfähre. Aus der Mitte der Bauern wurden zwölf Richter oder Geschworene gewählt, die, während sie den Gerichtsstab berührten, versprechen mussten, die Rechte des Klosters zu wahren und die klösterlichen wie die eidgenössischen Verordnungen zu befolgen. Die Gerichtsverhandlung war jeweils nur ein Teil der Traktanden; daneben wurden auch Wahlen durchgeführt, die Offnung samt den Pflichten und Rechten sowie Verordnungen vorgelesen. Ein eigentliches Zeremoniell begleitete das Gerichtsverfahren, dessen Vorsitz der Abt oder der Grosskellner als dessen Stellvertreter innehatte. Der Grossteil der Verfehlungen wurde mit Geldstrafen belegt, deren Einzug durch den Klosterweibel geschah; die Bussgelder gingen zu einem Drittel an das Kloster, zu zwei Dritteln an die Gemeinde. Eine zweite Strafart war auch in Wettingen die Prangerstrafe, die für Betrug, Fälschung und Verleumdung angewandt wurde; die so zu büssende Person musste sich entweder auf den Pranger auf dem Dorfplatz oder an die Kirchenmauer oder auf den Friedhofweg oder auf die unterste Stufe zum Hochaltar stellen.“

Interessant ist, dass auch hier 12 Bauern aus dem Dorf als Richter amten durften. Der obige Text suggeriert freilich, dass die 12 Richter jedesmal neu gewählt wurden, was im Gegensatz zu dem steht, was wir aufgrund der Einträge im Jahrzeitbuch annehmen dürfen: dass nämlich dieses Amt vom Kloster an die führenden (und wohl auch klostertreuen) Bauern auf Dauer verliehen wurde. Und aufgrund der stereotypen Verbindung der beiden Ämter („des Gerichts und Marianischen Rats“) darf man wohl mit einiger Sicherheit vermuten, dass das Kloster die beiden Ämter miteinander koppelte. Dabei ist zu bedenken, dass das Amt des Richters älter war, was zur Annahme berechtigt, dass das Kloster am Jahre 1651 bei der Gründung der Bruderschaft einfach die bereits bestellten 12 Richter zum Vorstand der Bruderschaft bestimmte. Meine Schlüsse sind freilich blosse Vermutungen, die durch eindeutige Dokumente entweder bestätigt oder widerlegt werden müssten.

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